Es gibt eine Tüchtigkeit, die den Menschen als Menschen meint; seine Tauglichkeit oder auch seine sittliche Tüchtigkeit. Gerade das will das Wort,,Tugend" ausdrücken: die Fähigkeit, ein Mensch zu sein.
Weil sich im Lauf der Geschichte ein gewisser Wandel des Menschseins vollzieht, gibt es durchaus einen Wandel der sittlichen Tüchtigkeiten. Die Tugenden, an denen vergangene Generationen ihr Leben geformt hatten, haben für unsere Zeit ihre Überzeugungskraft eingebüßt; hierin braucht man nicht gleich Anzeichen eines zunehmenden sittlichen Verfalls zu sehen.
Wenngleich das Wort ,,Tugend" bei vielen einen bitteren Nachgeschmack hervorruft, weil es von Moralisten und Predigern in rührseligen und pathetischen Tönen angepriesen worden ist, so trifft doch der mit diesem Wort gemeinte Sachverhalt ein grundlegendes menschliches Anliegen: ein Höchstmaß an sittlicher Tüchtigkeit in bezug auf das eigene und das mitmenschliche Leben und Sein zu verwirklichen.
Es ist dafür Sorge zu tragen, daß mit den überlieferten Tugendbegriffen nicht auch deren ursprünglich gemeinter ethischer Gehalt verlorengeht. Prof. Heinrich Klomps hat es in gekonnter, einleuchtender Weise unternommen, die Tugenden neu zu deuten und in unsere Zeit hineinzustellen. Der Leser dieses Buches wird feststellen, daß die hier behandelten Tugenden nicht ,,von gestern" sind, sondern voll und ganz in sein modernes Leben hineingehören.