Das heute brennend gewordene Schicksal des neuen Israel läßt die Frage nach der geistigen Grundlage seines Wesens in weiten Kreisen lebendig werden. Sie ist untrennbar von seinem heiligen Buch, dem Alten Testament, dessen vielfach verschlüsselter Inhalt jedoch nicht leicht zugänglich ist. Dazu eine allgemein verständliche Einführung zu geben ist die Absicht der vorliegenden Darstellung der Religionsgeschichte Israels. Sie lenkt den Blick des Lesers unter Verzicht auf eine Anhäufung von Daten und Namen des äußeren Geschehens immer wieder auf die inneren Bedingungen der Behauptung und Entfaltung eines Gottesglaubens, der der umgebenden Religionswelt in bleibender Fremdheit gegenübersteht. Sein Eigengeprage zeigt sich schon bei der ersten Gemeinschaftsbildung, in der einige Wanderstämme der Steppe sich der religmsen Ftihrung eines prophetischen Verkünders unterstellen. Er vermag ein geschichtliches Befreiungserlebnis als den Aufbruch zu einer neuen zukunftsträchtigen Lebensgestalt zu deuten: Das hier begründete Bündnis des souveränen göttlichen Herrn mit den ihm vertrauenden Menschen schließt Gottverbundenheit und Mitmenschlichkeit untrennbar zusammen. Die lebendige Macht dieser geistigen Ganzheit setzt sich in den kulturellen und politischen Wandlun gen Israels in wechselnden äußeren Formen durch, ohne dabei ihr eigenes Wesen zu verlieren. Vielmehr wird ihr in ihren Kämpfen immer wieder das helfende Eingreifen berufener geistiger Führer geschenkt, aus dem sich eine unerhört reiche Glaubenswelt entfaltet. Trotz starker Spannungen und polarer Gegensätze verleugnet sie darum nie die ursprüngliche Kraft einer einheitlichen Lebensdeutung, sondern bewahrt auch in verderbendrohenden Krisen die unerschütterliche Gewißheit kommender Vollendung.